Schlagwort-Archive: Bibliotheksgeschichte

Leihverkehr der ehemaligen DVW-Bibliothek

Die zunehmende digitale Verfügbarkeit neuerer Fachliteratur einerseits und das nachlassende Interesse an älterer bzw. historischer geodätischer Fachliteratur andererseits führten dazu, dass die ehemalige DVW-Bibliothek zuletzt nur noch ein Schattendasein führte. Dies lag nicht zuletzt daran, dass eine zeitgemäße elektronische und im Internet verfügbare Katalogpräsentation fehlte. Ohne Online-Katalog war die Bibliothek zwangsläufig von ihren potentiellen Nutzern abgeschnitten und zum Dornröschenschlaf verdammt.

Das war früher anders. Auf den Katalog und damit die Sichtbarkeit der DVW-Bibliothek wurde größter Wert gelegt. Wie schon berichtet, erschien der erste gedruckte Katalog bereits 1874 als Beilage zur Zeitschrift für Vermessungswesen (s.u. Abb. 1). Darüber hinaus informierte die Zeitschrift für Vermessungswesen regelmäßig über Neuzugänge der Vereinsbibliothek. 1889 folgte dann (laut DVW-Index 1977, S. 60, s.u. Abb. 2) das erste umfassendere Bücherverzeichnis im Druck.

Mit erheblichem Mitteleinsatz aus dem Vereinsvermögen konnte dann 1962 ein Katalog vorgelegt werden, der nach kriegsbedingten Verlusten bereits wieder 4.700 Veröffentlichungen aufwies. Laut der im DVW-Index 1977 (S. 48) dargestellten Entwicklung des Vereinshaushalts wurden insbesondere für Katalog mit Nachträgen von 1953 bis 1961 Ausgaben in Höhe von 10.498,25 D-Mark zugunsten der DVW-Bibliothek getätigt. Nachdem die Bibliothek infolge wachsender Ausgaben im Jahr 1960 schließlich eine eigene Haushaltsposition erhielt, schlug bis zum Jahr 1976 die enorme Summe von 35.603,26 D-Mark für die Bibliothek zu Buche, einschließlich Buchbindekosten für den Zeitschriftenaustausch. Entsprechend wuchs der Bibliothekbestand. Beim ersten Katalognachtrag Ende 1964 umfasste er rund 6100 Veröffentlichungen, beim zweiten Nachtrag im 1967 dann schon 6800. 1971 erschien dann die zweite Ausgabe des Katalogs, der bereits 7878 Veröffentlichungen, darunter allein 715 aus dem Nachlass des DVW-Ehrenvorsitzenden Egbert Habert enthielt. Von diesem Katalog (Ringordner mit XXXI+410 Schreibmaschinenseiten) wurden 180 Stück an alle DVW-Landesvereine und Bezirksgruppen verteilt und auf diese Weise den Mitgliedern zugänglich gemacht.

Dazu traf Abschnitt 4.11 (Bibliothek, Archiv, Iventar) der Geschäftsordnung des DVW (Stand 1. Januar 1976) eingehende Bestimmungen:

  1. Die DVW-Bibliothek kann einem Geodätischen Institut einer deutschen Wissenschaftlichen Hochschule angegliedert werden, bleibt jedoch Eigentum des DVW. Jedem DVW-Mitglied steht die Bibliothek nach der Leihordnung in der Anlage 6.8 zur Verfügung.
  2. Behörden, Institute, Gesellschaften sowie außerhalb des DVW stehende Personen können die DVW-Bibliothek ebenfalls in Anspruch nehmen; DVW-Mitglieder haben jedoch stets den Vorrang.
  3. Der DVW gibt den "Katalog für die DVW-Bibliothek" heraus und veröffentlicht Nachträge für größere Zeiträume. Dieser Katalog ist allen Vorstandsrats- und Beirats-Mitgliedern, der Geschäftsstelle sowie den Landesvereinen zur Verfügung zu stellen. Er kann wissenschaftlichen Forschungs- und Lehrstätten überlassen werden. Die Entscheidung trifft der DVW-Vorsitzende im Benehmen mit dem Sachwalter für die DVW-Bibliothek.

Die der Geschäftsordnung Anlage 6.8 beigefügte Leihordnung hatte folgenden Wortlaut:

  1. Der DVW richtete bereits bei seiner Gründung als Deutscher Geometer-Verein (D.G.V.) e.V. am 16. Dezember 1871 in Coburg eine Vereinsbibliothek ein, die heutige "DVW-Bibliothek". Sie befindet sich z.Z. beim Institut für Geodäsie und Photogrammetrie an der Technischen Universität Berlin.
  2. Anträge auf Ausleihe von Büchern, Fachzeitschriften usw. sind grundsätzlich mit Angabe des Verfassers und Titels des gewünschten Werkes, möglichst mit der DVW-Katalogsbezeichnung an die DVW-Bibliothek der TU, Institut für Geodäsie und Photogrammetrie, Sekr. 12, in 1000 Berlin 12, Straße des 17. Juni 135, zu richten.
  3. In dem Schreiben ist außer dem Vor- und Zunamen sowie der genauen Anschrift des Antragstellers anzugeben, welchem DVW-Landesverein der Entleiher als Mitglied angehört.
  4. Ist das gewünschte Werk, Periodika, Fachzeitschrift usw. vorhanden, so wird es dem Antragsteller unter "Einschreiben" übersandt. Die Portoauslagen sind in Briefmarken zu erstatten; Studenten sind davon befreit. Ebenso ist das ausgeliehene Werk auch wieder unter "Einschreiben" zurückzusenden.
  5. Die allgemeine Leihfrist beträgt einen Monat. Verlängerungen der Leihfrist sind nur möglich, wenn keine weiteren Anträge auf Ausleihe des Werkes vorliegen. Bei nicht rechtzeitiger Rückgabe wird kostenpflichtig gemahnt.
  6. Nicht gebundene Einzelhefte von Zeitschriften werden nicht ausgeliehen. Auf Wunsch werden Photokopien einzelner Aufsätze gegen Erstattung der Unkosten übersandt.
  7. Für Verluste oder Beschädigungen haftet der Entleiher.
  8. An Antragsteller in Berlin werden Bücher nur im Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der TU Berlin ausgeliehen. Termine sind vorher fernmündlich zu vereinbaren (Ruf 3 14 22 41 oder 314 3315).

Prof. Otto Hirsch, aus: ZfV 2005, S. 130Das auch in der Satzung (Stand 8. Dezember 1976) als Mitglied des DVW-Beirats verankerte Amt des „Sachwalters der DVW-Bibliothek“ hatte seit den 70-er Jahren bis zur Verlagerung der Bibliothek nach Leipzig im Jahr 1995 Prof. Dr.-Ing. Otto Hirsch (1928-2005) inne. Am 11. Mai 1928 in Hermannsburg (Kreis Celle) geboren, hatte Hirsch von 1938 Oberschulen in Potsdam, Belzig und Jüterbog besucht und nach einer Praktikumszeit in einem Vermessungsbüro in Belzig von 1949 bis 1951 Vermessungswesen an der heutigen Berliner Hochschule für Technik studiert. Es folgte ein Diplomstudium an der TU Berlin, an das sich 1956 eine Assistententätigkeit am Lehrstuhl Geodäsie und Landesvermessung (Prof. Fritz Hunger) anschloss. Ab 1961 war Hirsch dann wissenschaftlicher Leiter bei den Askania-Werken, kehrte aber bereits 1965 an die TU Berlin zurück, wo er als Oberingenieur 1970 mit einer Arbeit über die Temperaturabhängigkeit der Ziellinie von Universalinstrumenten promoviert wurde. Ohne habilitiert zu haben, wurde Otto Hirsch daraufhin 1971 zum Professor für das Fachgebiet Satellitengeodäsie, geodätische Astronomie und Messtechnik ernannt. Neben seiner Professur und über die 1993 erfolgte Pensionierung hinaus übernahm Otto Hirsch die ehrenamtliche Leitung der seinerzeit an der TU Berlin angesiedelten DVW-Bibliothek.

Ersatz eines in der Anna-Amalia-Bibliothek verbrannten Weimarer Buchs über Grundstückszusammenlegungen von 1873

Der seit gestern verfügbare fünfteilige Podcast Bücher in Asche. Der Brand in der Anna Amalia Bibliothek erinnert dieser Tage an den  größten Bibliotheksbrand der deutschen Nachkriegsgeschichte vor ziemlich genau 20 Jahren, bei dem am 2. September 2004 in Weimar 50.000 Bücher verbrannten. Bis heute bittet die Bibliothek um Mithilfe bei der Identifizierung von aus dem Brandschutt geborgenen Aschebüchern und Aschebuchfragmenten, immer wieder flankiert von Aufrufen des Bibliotheksdirektors @DirektorHAAB. Das BuB Magazin hat dazu vor Kurzem ausführlich berichtet.

Bibliotheksdirektor Dr. Reinhard Laube betrachtet im Rückblick nach 20 Jahren den Bibliotheksbrand als Geschichtszeichen: „Die Fragilität der kulturellen Überlieferung wird sichtbar und zur Frage von Rettung und Gestaltung in einem Akt der gesellschaftlichen Übernahme von Verantwortung. Kulturelle Überlieferung wird eben nicht einfach aufbewahrt, sie ist eine Entscheidung der Gegenwart und Frage der Gestaltung.“

Wo ein solches Bewusstsein verloren geht und keiner mehr so recht Verantwortung übernehmen will, kann es gerade bei kleinen Einrichtungen wie der ehemaligen DVW-Bibliothek ganz schnell dahin sein mit der kulturellen Überlieferung. Hier war es so, dass der DVW seine in 120 Jahren Sammeltätigkeit gehegte und gepflegte Vereinsbibliothek 1995 zunächst als Dauerleihgabe dem heutigen Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) übertragen hat. Aus den Augen aus dem Sinn ging die Bindung des Vereins an seine Bibliothek verloren. Auskunfts- und Benutzungswünsche durch Vereinsmitglieder tendierten gen Null, so dass man schließlich 2005 die Bestände ganz dem BKG übertrug. Damit war letztlich das Schicksal der Büchersammlung besiegelt. Ohne die bisherige Verankerung im Verein war die schwach genutzte Bibliothek ohne Perspektive. Es war nur eine Frage der Zeit, dass das BKG, das als geodätisch-kartographische Fachbehörde ohne entsprechenden Sammlungs- und Erhaltungsauftrag ganz andere Aufgaben hat, als historische Vereinsbibliotheken zu bewahren, die ihm aufgedrängte Last dem Schenker zurückübertragen wollte. Doch der hat dankend abgewunken. Kein Interesse am eigenen Cultural Heritage und kein Mut, die schlummernden Ressourcen wieder ins Bewusstsein zurückzuholen.

BuchtitelImmerhin konnten durch private Initiative Teilbestände der ehemaligen DVW-Bibliothek gerettet werden, vorwiegend ältere und seltene Sachen. Darunter auch einige jener 40 Titel, die dem Deutschen Geometerverein 1873 als Grundstock der neu errichteten Bibliothek vermacht worden waren. Dazu gehört das im Beitrag Die Anfänge der Bibliothek des Deutschen Geometer-Vereins im Jahr 1873 schon erwähnte Buch Über Ablösung grundherrlicher Rechte und die Zusammenlegung der Grundstücke (Separation, Consolidation, Commassation) mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Grossherzogthum Sachsen-Weimar : nebst 2 Karten über die Zusammenlegung der Grundstücke in der Flur Hochstedt : herausgegeben von M. Gau, grossherzoglich weimarischer Special-Kommissar, Weimar 1873.

Hier schließt sich nun der Kreis. Im Online-Katalog der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar ist das Werk nämlich mit dem Status Verlust / ausgesondert versehen, ergänzt um die Anmerkung: Verlust bei Bibliotheksbrand 2004, Fragment wird nicht restauriert. Grund genug, das Exemplar aus der ehemaligen DVW-Bibliothek nach Weimar zu geben!

Über den Verfasser M. Gau, der trotz obiger Veröffentlichung bislang keinen GND-Eintrag spendiert bekommen hat, lässt sich nicht viel Biographisches herausfinden. Im Staatshandbuch für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach von 1869, S. 87 erscheint Max Gau als Ökonomischer Spezialkommissar im Geschäftskreis der 1848 eingerichteten General-Kommission für Ablösung grundherrlicher Rechte zunächst in Weimar. Die Staatshandbücher von 1880, S. 183 und 1885, S. 164 weisen ihn dann unter den Behörden für Ablösungs- und Grundstückszusammelegungssachen als Oekonomiekommissar in Eisenach aus. 1883 fungierte Gau als Vorsitzender des geschäftsführenden Ausschusses des Comités für das Eisenbahnprojekt Eisenach-Eschwege und ist damit mutmaßlicher Verfasser einer diesbezüglichen Denkschrift. 1889 trat er in den Schriften des Vereins für Socialpolitik, Band 40 noch mit einem Aufsatz über Die Hausindustrie im Eisenacher Oberland des Großherzogtums Sachsen hervor.

Der 1873 an der Kartenbeilage (s.u.) beteiligte Geometer O. Ingber findet in den Staatshandbüchern jeweils an gleicher Stelle als Otto Friedrich Eugen Ingber bzw. Otto Ingber Erwähnung. Als Eugen Ingber lässt er sich zudem im Mitgliederverzeichnis des Deutschen Geometervereins von 1881 nachweisen. Die Anna Amalia Bibliothek verfügt bereits über einen 1867 von ihm kopierten Plan der Situation zur Projectirung neuer Anlagen bei dem Bade Berka, in dem er als Großherzogl. S. Geometer erscheint. Eine 1882 von Ingber gezeichnete topografische Karte der Umgebung von Berka a. I. befindet sich in der Sammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt.

Die Anfänge der Bibliothek des Deutschen Geometer-Vereins im Jahr 1873

Die Einrichtung einer allen Vereinsmitgliedern offen stehenden Bibliothek war bereits in den Gründungsdokumenten des Deutschen Geometer-Vereins angelegt. Laut § 9 der Satzungen vom 16. Dezember 1871 hatte der Schriftführer zugleich das Archiv und die Bibliothek des Vereines zu verwalten. § 18 bestimmte u. a. zu diesen Einrichtungen: Die Mitgliedschaft berechtigt zur Benutzung der dem Vereine etwa zu Gebote stehenden wissenschaftlichen Hilfsmittel.

Die ersten 40 Erwerbungen konnten dann auf der vom 2. bis 4. August 1873 in Nürnberg abgehaltenen II. Hauptversammlung des Deutschen Geometervereins öffentlichkeitswirksam präsentiert werden. Wie sich aus der im Tagungsbericht abgedruckten Aufstellung (ZfV 1873, S. 338–340) ergibt, handelte es sich hauptsächlich um Schenkungen. Selbstredend gingen die Vorstandsmitglieder beim Bibliotheksaufbau mit gutem Beispiel voran:

Die Anfänge der Bibliothek des Deutschen Geometer-Vereins im Jahr 1873 weiterlesen

Die DVW-Bibliothek in Edmund Braunes Aufzeichnungen

Edmund BrauneIn den Erinnerungen des früheren Chefs der Berliner Vermessungsverwaltung Edmund Braune (1886 –1966), über die hier: www.vermessungsgeschichte.de/detail/im-spannungsfeld-zwischen-ost-und-west-1945-bis-1952 zu lesen ist, heißt es im umfangreichen Eintrag vom 10. September 1947 zur DVW-Bibliothek:

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Vereine ist durch den Ausgang des zweiten Weltkrieges jäh unterbrochen worden. Von den Militärverwaltungen wurde jede Vereinsbildung und Tätigkeit der bestehenden Vereine verboten. Unter dieses Verbot fällt auch der DVW, dessen Geschäftsstelle wie durch ein Wunder erhalten geblieben ist. Aber der Verein war führerlos. Nur eine langjährige Angestellte verwaltete die Geschäftsstelle und schützte sie vor fremden Zugriff. Einige Mitglieder bemühten sich um die Aufrechterhaltung und Sichtung des Inventars. Der Magistrat hat dann in Wahrung seiner Aufsichtspflicht über die Vereine einen Notvorstand eingesetzt. Aber wegen des bisherigen Verbotes konnte keine Vereinstätigkeit aufgenommen werden. Von der Bücherei sind leider erhebliche Teile verloren gegangen; die geretteten, aber wertvollen Bestände befinden sich im Institut für Vermessungskunde. … Als Notvorstand hat Dr. Klempau keine Bedenken, die Geschäftsstelle, das Inventar und die Bücherei der Verwaltung eines neu gegründeten Einzelvereins zu übergeben mit der Weisung, dass die Verwendung zu Gunsten aller Vereine zu erfolgen hat.

Die DVW-Bibliothek in Edmund Braunes Aufzeichnungen weiterlesen

Abriss zur Geschichte der DVW-Bibliothek

Im 1988 veröffentlichten Bibliotheksführer Berliner Bibliotheken – Ingenieurwissenschaften, Technik heißt es zur damals an der TU Berlin ansässigen DVW-Bibliothek:

Die Bibliothek wurde 1873 als Bücherei des Deutschen Geometervereins (D.G.V.) eingerichtet. Bis 1916 in München, später an der Technischen Hochschule in Danzig betreut, ging sie 1921 an das Geodätische Institut der landwirtschaftlichen Hochschule Berlin und 1927 an das Institut für Vermessungskunde der Technischen Hochschule Berlin; sie blieb jedoch Eigentum des Deutschen Vereins für Vermessungswesen.
Die Bibliothek, die über einen wertvollen, umfangreichen Altbestand verfügt (insbesondere
an Zeitschriften), erlitt durch Verlagerung im Zweiten Weltkrieg kaum Verluste, sie wurden durch den Erwerb verschiedener nachgelassener Fachbibliotheken ergänzt.
Der sehr gute, umfassende Spezialbestand an neuerer und neuester Literatur wird laufend ausgebaut u. a. durch nationalen und internationalen Zeitschriftenaustausch und durch Spenden der Berufskollegen.