Aktuell erscheint in der zfv – Zeitschrift für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement eine ganze Serie von Aufsätzen zur Geschichte des Deutschen Vereins für Vermessungswesen im Nationalsozialismus. Mit der Zeit zwischen 1933 und 1935, in welche die Ausrichtung der Vereinssatzung am nationalsozialistischen Führerprinzip fällt, befasst sich der Aufsatz in Heft 5/2024 von Robert Kieselbach, Christian Schwartz und Stefan Mühlhausen mit dem Titel Der DVW im Nationalsozialismus – Die Entwicklung des DVW 1933–1935: Im Spannungsfeld von Auflösung und Selbst-»Gleichschaltung« (doi.org/10.12902/zfv-0489-2024).
Gegenstand dieses Aufsatzes ist in Abschnitt 15 (S. 292-294) die nationalsozialistische Umgestaltung der Vereinssatzung vom 30. November 1935, die als dreiseitiger Sonderdruck in der ehemaligen DVW-Bibliothek überliefert ist und hier vollständig publiziert wird (s. Abbildungen). Die Anpassung der Vereinssatzung an das NS-System bestand im Wesentlichen in der Einführung des „Führerprinzips“. Der Aufsatz beschreibt dies wie folgt: „Der Vorsitzende Dohrmann erhielt durch die Satzungsänderung deutlich mehr Macht und Entscheidungsgewalt. Mitgliedschaften mussten bei ihm beantragt werden und er bekam allein das Recht, Mitglieder vom Verein auszuschließen. Auch die Ernennung von Ehrenmitgliedern oblag nun dem Vorsitzenden. Der Vorsitzende konnte weiter den Mitgliedsbeitrag bestimmen und die Zahlungsfrist festlegen. Außerdem bestimmte er von nun an den Geschäftsleiter, den Schriftleiter und die Besetzung von Fachausschüssen“ (S. 249).
Die einschneidendste Änderung aber war die Ersetzung der Mitgliederversammlung durch den neu eingeführten Beirat, ohne dass dies im Aufsatz in dieser Deutlichkeit herausgestellt wird. Wenn es heißt, dass „die DVW-Mitgliederversammlungen … durch die neue Satzung in die Hände des Vorsitzenden gelegt“ wurden und dieser bei seinen Entscheidungen den „Beirat anzuhören hatte“ (S. 249), dann ist das fast ein wenig irreführend, auch wenn im Weiteren noch erwähnt wird, dass nicht „mehr die Hauptversammlung, sondern der Beirat“ nunmehr das Recht bekam, „den Vorsitzenden zu wählen und Satzungsänderungen zu beschließen.“ Den Kern der Sache trifft dies nicht ganz. Denn es gab kein Nebenher von Beirat und Mitgliederversammlung! Blickt man in die Satzung, dann wird klar, dass der in § 13 neu eingeführte Beirat zwar ein neues Vereinsorgan darstellte, aber zugleich unmittelbar an die Stelle der Mitgliederversammlung trat und diese ersetzte: „Der Beirat ist Mitgliederversammlung im Sinne des § 37 B.G.B.“ (§ 14). Damit war die bisherige Mitgliederversammlung der sämtlichen jeweils anwesenden Vereinsmitglieder gemäß § 10 der alten Satzung vom 25. September 1921 (ZfV 1921, S. 695-699) vollkommen ausgeschaltet. Als Wahlorgan für den Vereinsvorsitzenden (§ 11) trat an ihre Stelle der „Beirat als Mitgliederversammlung“ (§ 15), dessen Mitglieder der Vorsitzende wiederum selbst bestimmte (§§ 10 – 13).
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Die Zusammensetzung des Beirats um 1937/1938 ergibt sich aus der Akte A Pr. Br. Rep. 030-04 Nr. 467, Blatt 33–35 im Landesarchiv Berlin:
Name, Funktion, Wohnort | Geburtstag | Geburtsort | NS-Mitgliedschaften |
---|---|---|---|
Vorsitzender: Dr. Martin Dohrmann, Regierungsrat, Bln.-Zehlendorf, Mörchingerstr. 119 c | 22.7.1905 | Neviges/Rhld. | RDB, NSV, RLB, SA, NSDAP: 864.321 |
Beirat: Stellvertreter des Vorsitzenden: Otto Speidel, Oberregierungsrat, Berlin W 35, Hildebrandstr. 16 | 1.5.1895 | Möckmühl | RDB, NSV, RLB, NSDAP: 467.567 |
Geschäftsleiter: Otto Böttcher, Vermessungsrat i.R., Bln.-Charlottenburg 2, Grolmanstr. 32/33 | 9.1.1875 | Erfurt | RDB, NSV, RLB, NSDAP: 2.639.633 |
Schriftleiter: Dr. Otto Eggert, o. Professor, Berlin-Dahlem, Ehrenbergstr. 21 | 4.2.1874 | Tilsit | RDB, NSV, NS-Lehrerbund |
Dr. Walter Großmann, Regierungsrat, Potsdam, Sigismundstr. 34 | 6.4.1897 | Norden | RDB, NSV, SA Reserve, NSDAP: 4.199.161 [1. Mai 1937*] |
Leiter der Fachausschüsse: Albert Pfitzer, Ministerialrat, Bln.-Lichterfelde-W., Drakestr. 37 | 2.7.1882 | Von der Heydt (Saarbrücken) | RDB, NSV, RLB, NSDAP: 1.893.890 [1. Mai 1933*] |
Dipl.-Ing. Gottlieb Günzler, Direktor [des Flurbereinigungsamts München], München, Ainmillerstr. 36 | 9.10.1875 | Rothenburg o. d. T. | RDB, NSV |
Reinhard Kurandt, Vermessungsdirektor, Königsberg/Ostpr., Leostr. 47 | 28.1.1889 | Diez/a.d.Lahn | RDB, NSV, RLB, NSKOV, RdK, FMSS, NSDAP: 1.573.367 |
Eduard Rohrbach, Stadtlandmesser, Dortmund, Windmühlenweg 45 | 25.4.1903 | Bischhausen, Krs. Eschwege | RDB, NSV, RLB, FMSS, NSDAP: 2.169.463 |
Ferdinand Henkel, Reichsbahnoberrat, Berlin-Halensee, Paulsbornerstr. 21 | 26.1.1877 | Hanau/Main | RDB, NSV, RLB, FMSS |
Julius Scheuch, Reg. u. Verm. Rat, Magdeburg, Kaiser Friedrichstr. 62 | 14.5.1878 | Hüttengesäß b. Hanau | RDB, NSV, NSRB |
Kurt Willberg, Vermessungsingenieur, Bautzen, Bahnhofstr. 19 | 28.5.1891 | Dresden | DAF, NSV, RLB, komm. Gaufachschaftswalter d. Fachschaft Verm.Ing. R.B.13 Freie Berufe der DAF, NSDAP: P.A. |
Clemens Brand, Stadt-Verm.Direktor, Münster/Westf., Scharnhorststr. 18 | 10.6.1886 | Störmede | RDB, NSV, RLB, NSDAP: 3.567.652 |
Dr. Heinrich Merkel, Hochschulprofessor, Karlsruhe/Baden, Karl Wilhelmstr. 20 | 28.10.1889 | Ludwigshafen/Rhein | RDB, NSV, RLB, NS-Lehrerbund, NSDAP: 2.318.623 |
Kurt Weule, Verm.Referendar, Zossen/b.Berlin, Baruther Chaussee 3 | 30.11.1912 | ? | SA, NSDAP: 1.828.778 |
Dr. Theodor Siewke, Regierungsrat, Berlin-Karlshorst, Ohm Krügerstr. 23 | 12.5.1890 | Godrienen b. Kbg./Pr. | RDB |
Leiter der Gaugruppen: Hermann Rösler, Regierungsrat, Dresden A 20, Teplitzeratr. 98 | 11.2.1884 | Dresden | RDB, NSV, RLB |
Wilhelm Dieter, Vermessungsrat, Giessen, Wilhelmstr. 63 | 12.12.1877 | Reinheim/Odenwald | RDB, NSV, RLB, NSKOV, NSDAP: 934.177 |
Emil Friedel, Oberregierungsrat, Weimar, Kaiserin Augustastr. 59 | 27.11.1884 | Cunsdorf | RDB, NSV, RLB, NSDAP: 2.197.638 |
Fritz Diekmann, Landesökonomierat, Oldenburg, Blumenstr. 34 | 15.6.1897 | Diekmannshausen/Oldbg. | RDB, NSV, RLB |
Dr. Paul Wiedow, Reg.u.Verm.Rat, Schwerin/Mecklbg., Schelfstr. 24 | 30.1.1898 | Doberan/Mecklbg. | RDB, NSV, RLB, NSDAP: 2.823.291 |
Peter Strupp, Vermessungsrat, Duisburg, Moselstr. 3 | 4.7.1878 | Bitburg | RDB, NSV, RLB, FMSS |
Arthur Meitzner, Reg.Landmesser, Köln-Bayenthal, Bernhardstr. 136 | 21.9.1885 | [Berlin] | RDB, NSV, SA, NSDAP: 2.139.468 |
Max Nasemann, Vermessungsingenieur, Hannover, Heinrich Schützstr. 28 | 7.3.1888 | Hannover | DAF, RLB, NSDAP: 2.958.195 |
Alfred Erbe, Reg.Landmesser, Breslau 5, Museumsplatz 6 | 18.2.1905 | Wiesbaden | RDB, NSDAP: 2.367.782 |
Robert Waetzmann, Oberreg.u.Verm.Rat, Schleswig, Gesterberg 9 | 4.7.1877 | Weißensee/Krs. Meseritz Grenzmark | RDB, NSV, FMSS |
Louis Schneider, Reg.Oberverm.Rat, München, Emil Riedelstr. 2 | 31.1.1879 | Coburg | RDB, NSV, RLB, NSDAP: 3.214.095 |
Wilhelm Weiß, Vermessungsrat, Plochingen/Wtt., Hindenburgstr. 44 | 25.4.1893 | Stuttgart | RDB, NSKOV, NSDSTB, NSV, RLB, NSDAP: 70.192 |
Gustav Morlock, Oberregierungsrat, Karlsruhe/Baden, Kriegstr. 162 | 7.3.1872 | Blankenloch | RDB, NSV, RLB, NSDAP: 26.645 [28. Dezember 1925*] |
Für den 29-köpfigen D.V.W.-Beirat, für den die Satzung als Höchstzahl 30 Mitglieder vorsah (§ 13) weist die vorliegende Liste insgesamt 19 NSDAP-Mitglieder und einen Parteianwärter (P.A.) aus, mithin eine Zweidrittelmehrheit von NSDAP-Mitgliedern aus. 1936 war das Verhältnis noch ein anderes. In der früheren Liste der Beiratsmitglieder vom 3. Juni 1936 (A Pr. Br. Rep. 030-04 Nr. 467, Blatt 9–11) sah das noch ein wenig anders aus. Von den dazumal 27 Beiratsmitgliedern waren einschließlich der Führungsriege nur 14 Mitglieder der NSDAP, also rund die Hälfte. Zum Teil sind Beiratsmitglieder später in die Partei eingetreten, zum Großteil aber Parteimitglieder für aus dem Beirat ausgeschiendene Mitglieder nachgerückt.
Der Vollständigkeit halber folgen hier noch die in der ersten Beiratsliste vom 3. Juni 1936 enhaltenen Beiratsmitglieder, die in der späteren Liste fehlen, d.h. im Zeitraum 1936/37 wieder aus dem Beirat ausgeschienden sind:
Name, Funktion, Wohnort | Geburtstag | Geburtsort | NS-Mitgliedschaften |
---|---|---|---|
Leiter der Fachausschüsse: Albert Fröbe, Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19, selbst. vereid. Landmesser | 19.8.1887 | Berlin | DAF |
Dr.-Ing. Gustav Clauß, o.Professor, Oberreg. Rat i.R., München 19, Bothmerstr. 11 I | 19.3.1871 | Landau/Rhpfalz | RDB, NSV |
Karl Berger, Kataster-Amtmann (Bau- u. Finanzdirektion Berlin), Berlin-Dahlem, Lentzeallee 30 | 23.11.1896 | Trarbach a. d. Mosel | NSDAP: 527.258, Gaubevollmächtigter der NSDAP Gross-Berlin, Fachschaftsgruppenleiter der Preuss. Bau- u. Finanzdirektion, Bau-, Kultur- und Katasterämter und Geologischen Landesanstalt, Schulungsleiter der Fachschaftsgruppe 12 usw. |
Friedrich Brümmer, Kand.d.höh.Verm.fachs, Berlin N 113, Rodenbergstr. 31 III | 21.8.1909 | Saarbrücken, | SA |
Leiter der Gaugruppen: Erich Klander, Regierungslandmesser, Köln-Riehl, Bodinusstr. 2 | 20.3.1884 | Kolberg/Pommern | RDB, NSV |
Kurt Albrecht, Katasterdirektor, Hirschberg/Riesengebirge, Hermann Stehrstr. 10 | 24.2.1889 | Dahme (Mark) | RDB, NSDAP: 1.788.331 |
Abkürzungen:
DAF: Deutsche Arbeitsfront
FMSS: Förderndes Mitglied der SS
NSDAP: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
NSDSTB: Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund
NSKOV: NS-Kriegsopferversorgung
NSRB: Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund
NSV: Nationalsozialistische Volkswohlfahrt
RDB: Reichsbund der Deutschen Beamten
RdK: Reichsbund der Kinderreichen ?
RLB: Reichsluftschutzbund
SA: Sturmabteilung
* Datum nach de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_NSDAP-Parteimitgliedsnummern.