Archiv für den Monat: Oktober 2024

Nachrichten, Berichte und Protokolle des Casseler Geometervereins

Wo wir schon einmal in Kassel sind (s. vorigen Beitrag zu Otto Börsch), gebietet es die Höflichkeit, noch kurz beim altehrwürdigen Casseler Geometer-Verein vorbeizuschauen. Gegründet wurde jener Zweigverein des Deutschen Geometervereins am 10. Februar 1878 (ZfV 1879, S. 302), war allerdings drei Jahrzehnte später schon wieder Geschichte. Wie dem Bericht über die 32. Hauptversammlung zu Cassel am 23. Januar 1909 (ZfV 1909, S. 255 f.) zu entnehmen, wurde damals die Auflösung des Vereins beschlossen. Als Grund wurde „die stets noch zunehmende Interessenlosigkeit“ am Casseler Landmesser-Verein benannt, deren Ursache vornehmlich „in der Bildung der einzelnen Fachvereine zu suchen sei“. Das war drei Jahrzehnte vorher noch ganz anders. Der Berichterstatter Th. Müller schwärmte in der ZfV 1879, S. 303-312 geradezu enthusiastisch, welch rühriges Vereinsleben der neu gegründete Verein entfaltete.

An Druckschriften, die Einblicke in die Vereinsaktivitäten erlauben, weist die Zeitschriftendatenbank (ZDB) ausschließlich und mit bedauerlichen Lücken die Nachrichten aus dem Casseler Geometerverein aus. Und das noch nicht einmal in Kassel! Die Universitäsbibliothek Marburg verwahrt davon unter der Signatur VIII C 116 ml die Hefte 2 und 3 von 1892 sowie 5.1894 – 7.1895. Von den gedruckten Berichten des Vereinsvorstands, wie sie Grundlage des o.g. ZfV-Berichts von 1879 waren, fehlt in den einschlägigen Bibliothekskatalogen jede Spur! Nur im Antiquariatshandel finden sich zwei versprengte Relikte in Form des Berichts über die Thätigkeit des Vereins in der Zeit vom Jahre 1880 bis 1881 erstattet in der 4. Hauptversammlung zu Cassel sowie des Protokollarischen Berichts über die IV. Hauptversammlung des Kasseler Geometer-Vereins am 26. Mai 1881. Der Preis von jeweils 60 € für nicht einmal je dreißig Seiten zeigt, um welche Raritäten es sich handelt.

Unikate sind es trotzdem nicht. Im Bestand der ehemaligen DVW-Bibliothek finden sich zunächst die ab Vereinsgründung jährlich erschienenen Bericht[e] über die Thätigkeit des Vereins in der Zeit vom Jahre … bis … erstattet in der … Hauptversammlung zu …, vorliegend für die Jahrgänge 1.1878 – 4.1881, 7.1884 – 8.1885 und 10.1887-13.1890. In einer separaten Serie wurde parallel jeweils das Protocoll über die … Hauptversammlung des Casseler Geometer-Vereins am … veröffentlicht, überliefert in den Jahrgängen 1.1878 – 4.1881 und 6.1885 – 13.1890.

Mit dem XI. Tätigkeitsbericht entwickelten sich Jahresbericht und Protokoll dann langsam aber sicher in Richtung eines Mitteilungsblatts. Dem resümierenden Rückblick auf zehn Jahre Vereinsleben (mit der Klage über die mehr und mehr zurückgehende Bereitschaft, Vorträge auf den Mitgliederversammlungen zu halten), waren das Protokoll über die Hauptversammlung am 14. Juli 1888 an, ferner das „Mitglieder-Verzeichnis pro 1888“ und schließlich noch ein kurzes „Verzeichniss der vom Casseler Geometervereins im Vereinsjahre 1887/88 neu angeschafften Bücher“ als Anlagen beigefügt. Bericht und Protokoll der 14. Hauptversammlung am 9. August 1891 erschienen dann 1892 erstmals als „Nachrichten aus dem Casseler Geometerverein“, ergänzt um den Abdruck einer Rede von Friedrich Wilhelm Dünkelberg im preußischen Abgeordnetenhaus. Hauptinhalte dieses mindestens bis zu Heft 8 1896/97 publizierten Nachrichtenblatts bildeten auch weiterhin die traditionellen Jahresberichte und Protokolle, gelegentlich bereichert um die Veröffentlichung von auf den Vereinsversammlungen gehaltenen Vorträgen, etwa zum kurhessischen Wasserrecht in Heft 2.

Bevor das Nachrichtenblatt etabliert wurde, erschienen einzelne Vortäge als separate Veröffentlichungen des Casseler Geometervereins. Darunter die drei im folgenden abgebildeten Publikationen: Wegnetzlegung verbunden mit wirthschaftlicher Eintheilung in Gebirgs-Waldungen : Vortrag gehalten im Casseler Geometer-Verein am 23. Februar 1878 vom (leider noch vornamenlosen) Feldmesser Bunge, Darstellung einiger Momente, welche im ersten Wirthschaftsjahr nach stattgehabter Verkoppelung zu berücksichtigen sind von Arnold Hüser oder Einschneiden mit graphischer Darstellung der Visierstrahlan nach Bertot von Dr. Paul Wiecke. All diese Kleinschriften sind außer in der ehemaligen DVW-Bibliothek bislang nirgends nachgewiesen und gehen nun mitsamt den übrigen Schriften des Casseler Geometervereins an die Universitätsbibliothek Kassel, Abt. Landesbibliothek. Dubletten von Heft 1 und 4 der Nachrichten erhält die Universitäsbibliothek Marburg zur Vervollständigung ihres Bestands.

Otto Börsch – ein Geodät mit 4 GND-Einträgen

Buchtitel von 1869Will man beim sukzessiven Sichten der gesicherten Bestände einer ausrangierten Bibliothek rare oder unikale Werke aufspüren, kommt man nicht umhin, jedes einzelne Buch in die Hand zu nehmen und mit den einschlägigen Verbundkatalogen zu prüfen, ob und wie selten ein Werk in hiesigen Bibliotheken vorhanden ist. Dabei kommt es dann ab und zu vor, dass sich ein auf den ersten Blick nicht als seltenes Stück anmutendes Buch als ziemliche Seltenheit herausstellt. Solch ein Buch ist die in der ehemaligen DVW-Bibliothek gleich doppelt vorhandene „Anleitung zur Berechnung der rechtwinkligen sphärischen Coordinaten und Dreieckspunkte, sowie der Dreiecksseiten und ihrer Richtungen aus den gegebenen geographischen Breiten und Längen der Dreieckspunkte mit besonderer Berücksichtigung der trigonometrischen Landesaufnahme des vormaligen Kurfürstenthums Hessen als Grundlage für Gemarkungs-, Forst- und dergleichen Vermessungen“ von Dr. Otto Börsch, 1868 im Kasseler Verlag Württenberger erschienen.

Die Suche mit dem Karlsruher Virtuellen Katalog liefert hier nur zwei Katalogeinträge, einmal im K10plus Verbundkatalog und einmal in Harvard. Der Eintrag auf K10plus umfasst ein Exemplar an der Universitätsbibliothek der TU Braunschweig und ein zweites Exemplar an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena. Für die Staatsbibliothek zu Berlin ist ein Kriegsverlust ausgewiesen. Das Exemplar der Harvard University ist auf Hathi Trust bzw. Google Books frei verfügbar; dank Digitalisierung also trotz physischer Seltenheit keine wirkliche Rarität mehr.

Ein Blick in die bibliothekarischen Normdaten zum Autor, für den es bislang keinen Wikipedia-Eintrag o. dgl. gibt, fördert nun gleich vier unterschiedliche Einträge für ein und dieselbe Person zu Tage:

Dass alle vier Normdatensätze wirklich ein und dieselbe Person beschreiben, zeigen die dem Findbucheintrag des Stadtarchivs Kassel (StadtA KS, C 103) zum Nachlass beigegebenen biografischen Angaben:

"Otto Börsch (*05. September 1817 in Marburg; †21. Juli 1890 in Berlin) war Mathematiker und Geodät; Sohn des Professors [Friedrich] August Börsch (*09.04.1781 in Eckartsberga; †20.07.1844 in Kassel) und dessen Frau Wilhelmine, geb. Fay (*06.05.1788 in Altenhaßlau; †28.10.1830 in Marburg); der Vater hatte 1812-15 und 1833-42 eine Professorenstelle am Hanauer Gymnasium inne, so dass Otto Börsch einen Großteil seiner Jugend in Hanau verbrachte; Besuch des Gymnasiums in Hanau; 1838-44 Studium der Mathematik und der Naturwissenschaften in Marburg (Prof. Dr. Christian Ludwig Gerling hatte hier einen besonderen Einfluss auf ihn); Studienabschluss mit Staatsexamen; Oktober 1844 – März 1845 Praktikant für Mathematik und Naturwissenschaften am Gymnasium Kassel; im März 1845 beurlaubt und später auf eigenen Wunsch entlassen; ab 03. November 1845 als Trigonometer bei der kurhessischen Landesaufnahme in Kassel tätig (bis 01.05.1854); 12.04.1851 Heirat mit Josepha Therese Aloyse, geb. Dittmar; ab 11. Mai 1860 Trigonometer in Gelnhausen; später Dozent für Geodäsie und Elementarmathematik an der höheren Gewerbeschule (Polytechnische Schule) Kassel (bis zum 01.10.1870); ab 1862 war er in Kassel maßgeblich an der von Johann Jacob Baeyer (Berlin) durchgeführten europäischen Gradmessung beteiligt; 1863 wurde er in Marburg mit der Arbeit „Bestimmung der Genauigkeit von Winkel- und Linien-Messungen aus Beobachtungen abgeleitet“ promoviert; 1868 erschien seine Arbeit „Anleitung zur Berechnung der rechtwinkligen sphärischen Coordinaten und Dreieckspunkte (…)“ (Kassel: Württenberger); 1868 erhielt er eine Berufung nach Berlin als Mitglied des preußischen geodätischen Institutes; 1869 erschien „Tafeln für geodätische Berechnungen zwischen den geographischen Breiten von 35° und 71° (…)“ (Kassel: Waisenhaus-Druckerei); ab 1871 an der Gewerbe-Akademie in Berlin tätig; 1873 Ernennung zum Sektionschef am Kgl. Preußischen Geodätischen Instituts."

Der 13 Einheiten umfassende Bestand StadtA KS, C 103, zu dem diese biografische Beschreibung gehört, wurde vom Stadtarchiv Kassel 2018 aus dem Antiquariatshandel erworben. Dabei scheint es sich allerdings nicht um den vollständigen Nachlass gehandelt zu haben. Denn einzelne Otto Börsch zuzuordnende Stücke sind noch im Autographenhandel erhältlich, und zwar ein dreiseitiger Brief vom 30. Juni 1849, mit dem er bei seinem zukünftigen Schwiegervater um die Hand von dessen Tochter Josephine anhielt (Abb.) sowie vier Studientestate von 1839 und 1840, in denen Prof. Christian Ludwig Gerling den Besuch seiner Vorlesungen über über Physik, Analysis, Geometrie, Integralrechnung und Geographie bescheinigt (Abb.).

„Seinem hochvererhrten Lehrer“ Prof. Dr. Gerling hat Otto Börsch schließlich auch seine Dissertation „in Liebe und Dankbarkeit“ gewidmet. Umgekehrt wird Otto Börsch von Carl Reinhertz im Aufsatz über Christian Ludwig Gerling’s geodätische Thätigkeit in der ZfV 1901, S. 4 als bedeutendster geodätischer Schüler Gerlings bezeichnet. Und Zum 150. Todestag von Christian Ludwig Gerling gedenkt Bernhard Heckmann nicht nur jenes bedeutenden Geodäten, sondern zugleich auch dessen Schülers Otto Börsch. Zuletzt ist noch in den DVW-Mitteilungen Hessen-Thüringen Heft 1/2021, S. 22-41 etwas mehr zu Otto Börschs geodätischen Arbeiten zum Anschluss der Grafschaft Schaumburg an „Kurhessens nördliche Triangulationsnetze I. Ordnung“ um 1853 zu erfahren. Börsch wird hier in den Kapiteln 2, 4 und 7 besonders genannt.

Seine eingangs genannte Anleitung zur Koordinatenberechnung von 1868 aus dem Bestand der ehemaligen DVW-Bibiothek geht nunmehr zur Ergänzung des Nachlasses ans Stadtarchiv Kassel, das zweite Exemplar nach Berlin an die Staatsbibliothek zum Ersatz des Kriegsverlusts.