Archiv für den Monat: September 2024

Ex libris Alfred Mellin, Oberleutnant a.D., Landmesser und Kulturingenieur, Entomologe

Exlibris Alfred Mellin Zwei kulturtechnische Bücher aus dem bislang gesichteten Bestand der ehemaligen DVW-Bibliothek zeichnen sich durch ein auffallendes Bucheignerzeichen aus (Abb.). Das Bibliotheksexemplar von Louis Vincents „Die Drainage, deren Theorie und Praxis“ in der zweiten Auflage von 1857 sowie „Der Wiesenbau in seinen landwirtschaftlichen und technischen Grundzügen“ von Friedrich Wilhelm Dünkelberg, 4. Auflage 1907, weisen mit dem im Innendeckel angebrachten künstlerischen Exlibris den Hirschberger Landmesser und Kulturingenieur Alfred Mellin als Vorbesitzer aus.

Dass sich jener Alfred Mellin neben seinem Beruf noch als eifriger Insektenfreund betätigte und 1905 dem Verein für schlesische Insektenkunde beitrat (Zeitschrift für Entomologie 1906, S. 57), ist es zu verdanken, dass wir über das Leben des Bücherfreunds informiert sind. Zunächst erscheint er dort in den Mitgliederverzeichnissen: als „Mellin, Oberleutnant a. D., vereid. Landmesser und Kultur- Ingenieur in Hirschberg i . Schles . , Bergstr. 3. Lep . Orth.“ Die Abkürzungen stehen dabei für seine entomologischen Spezialgebiete der Lepidopterologie (Schmetterlingskunde) sowie Orthopterologie (Heuschreckenkunde). Wesentliche Quelle für die Kenntnis seiner weiteren Biografie ist dann folgender Nachruf im Jahresheft des Vereins für Schlesische Insektenkunde zu Breslau von 1920, S. 23 f.:

   Am 25. April 1920 verschied zu Hirschberg i/Schl. der Oberleutnant a. D. Alfred Mellin. Ein Nervenleiden, das er sich durch einen Absturz von einer Leiter zugezogen, war die Veranlassung seines frühzeitigen Todes.
   Geboren am 1. Juni 1859 zu Posen, verließ er in Berlin, nach welchem Orte sein Vater als Regierungs- und Baurat und Mitglied der Kgl. Direktion der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn berufen war, das Kgl. Wilhelms-Gymnasium 1879 mit der Reife für Prima. Er wandte sich der Offiziers-Laufbahn zu, wurde 1881 Sekondeleutnant und 1890 Premierleutnant. Infolge eines Gehörleidens nahm er 1891 seinen Abschied und erwählte als neuen Beruf die Landmesserlaufbahn. Oktober 1892 ließ er sich an der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin immatrikulieren und besuchte die geodätischen und kulturtechnischen Vorlesungen. Im Herbste 1896 machte er die umfassende Prüfung in Kulturtechnik. Das Landmesserexamen bestand er im April 1899 und war von diesem Zeitpunkt ab in Hirschberg tätig, wo er ein eigenes Grundstück erworben hatte. Nach angestrengter Berufstätigkeit fand er im stillen und glücklichen Heim, das ihm seine überaus fürsorgliche Gattin bereitete, Erholung, wobei er sich dem Studium der Natur, namentlich der Entomologie, widmete. Ein Nervenleiden veranlaßte ihn, seine Berufstätigkeit ganz einzustellen und sich von der Allgemeinheit zurückzuziehen. Inmitten seiner umfangreichen Bücherei fand er Zerstreuung, bis er am 25. April 1920 im Alter von 60 Jahren sanft verschied. Am 15. Februar 1905 war er Mitbegründer der Entomologischen Vereinigung für das Riesengebirge, an deren Aufblühen und Förderung er als Kassenführer regen Anteil nahm. In den Versammlungen, die er ständig besuchte, erwarb er sich, infolge seines hochedlen Charakters, die Liebe aller Vereinsgenossen. Wer ihn gekannt, weiß, was er in ihm verloren hat. In dem Jahre 1905 trat er in den Verein für schlesische Insektenkunde ein, dem er als Mitglied bis zu seinem Tode angehörte.
   Die Lücke, die der Tod mit dem Hinscheiden dieses edlen Mannes in den Kreis der Entomologen des Riesengebirges gerissen hat, ist sehr schmerzlich, und ich werde als treuer Freund der Stunden oft und gern gedenken, die mir vergönnt waren, mit ihm vereint in den heimatlichen Bergen verleben zu dürfen.
H. Marschner

Was die im Nachruf anklingenden Familienverhältnisse betrifft, so handelte es sich bei dem als Direktoriumsmitglied der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn genannten Vater um den Regierungs- und Baurat Rudolph Albert Franz Mellin (1825–1895). Dessen Vater wiederum, also der Großvater unseres Alfred Mellin, war der Generalbaudirektor Friedrich Albert Immanuel Mellin, der seine steile Karriere als preußischer Baubeamter einst als Feldmesser begonnen hatte. Alfred Mellins Berufswahl nach dem Abschied aus dem Militär kam also nicht von ungefähr.

Bezüglich des Zeitpunkts der Landmesseprüfung, die Mellin dazu befähigte, als selbständiger vereideter Landmesser tätig zu werden, dürfte sich sein Vereinsfreund Hugo Marschner allerdings um ein Jahr vertan haben. Denn die Zeitschrift für Vermessungswesen, in der regelmäßige die erfolgreich bestandenen Prüfungen bekannt gemacht wurden, weist Mellin, Alfred, Posen erst zur Landmesseprüfung im Frühjahr 1900 aus (ZfV 1900, S. 339). Erst danach dürfte er sich in Hirschberg niedergelassen haben. Das Hirschberger Adressbuch von 1902 kennt ihn unter der Adresse Franzstraße 5 zunächst nur als Oberleutnant a.D. In der Ausgabe 1904 (und den Folgejahren) ist er dann wie folgt verzeichnet: Mellin, Alfred, Oberleutnant a. D., vereideter Landmesser und Kultur-Ingenieur, Bergstraße 3. Als Landmesser erscheint Mellin dann auch im Mitgliederverzeichnis des Deutschen Geometervereins von 1911. Darüber hinaus hat sich Mellin der St.-Johannis-Loge „Zur heissen Quelle“ i. Or. Hirschberg angeschlossen und fungierte hier laut Verzeichnis der Mitglieder des Vereins deutscher Freimaurer Ende 1909 als Schatzmeister. Schließlich muss sich Alfred Mellin auch noch im Riesengebirgsverein engagiert haben, wo er 1913 im Zusammenhang mit dem Neubau des Museums des Riesengebirgsvereins an der Seite des Vereinsvorsitzenden Dr. Hugo Seydel genannt wird (Minerva-Jahrbuch 23, S. 611).

Mitgliederverzeichnisse des Deutschen Geometervereins

Wie jede ordentliche Vereinsbibliothek hat die DVW-Bibliothek natürlich auch die unregelmäßig im Druck erschienenen Mitgliederverzeichnisse gesammelt und bewahrt. In der Sammlung vorhanden sind bzw. waren:

  • Mitglieder-Verzeichniss des deutschen Geometer-Vereins nach dem Stande vom 31. Januar 1878
  • Mitglieder-Verzeichniß des Deutschen Geometervereins im Jahre 1881 (Abb. 1)
  • Mitglieder-Verzeichniss des Deutschen Geometervereins im Jahre 1889
  • Mitglieder-Verzeichniss des Deutschen Geometervereins im Jahre 1893
  • Mitglieder-Verzeichniß des Deutschen Geometervereins im Jahre 1896 (Abb. 2)
  • Mitglieder-Verzeichnis des Deutschen Geometer-Vereins 1911

Die Vereinsmitglieder erhielten die Verzeichnisse jeweils vom Vorstand zugeschickt, verbunden mit der Bitte, „etwa gefundene Fehler in demselben dem Vereins-Kassirer … gefälligst zur Kenntnis bringen zu wollen.“ Ein entsprechendes Anschreiben (Abb. 3) fand sich eingelegt im Mitglieder-Verzeichnis vom Jahre 1893 im Bestand der ehemalige DVW-Bibliothek.

Angesichts der beachtlichem Mitgliederzahl und der entsprechenden Auflage sollte man meinen, dass sämtliche Verzeichnisse auch auf irgendwelchen Wegen an öffentliche Bibliotheken gelangt sind. Erstaunlicherweise trifft dies nicht für alle Jahrgänge zu. So ist das Mitgliederverzeichnis von 1896 an keiner einzigen weiteren Bibliothek nachweisbar. Das Verzeichnis von 1881 ist neben der DVW-Bibliothek zumindest noch in einem weiteren Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin überliefert. Hingegen sind die Ausgaben von 1878, 1889, 1893 und 1911 (aus dem Vorbesitz des Vermessungsamts der Hansestadt Hamburg) sogar digitalisiert verfügbar (resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1754794548). Letzteres trifft für das allererste Mitgliederverzeichnis ebenso zu, das allerdings nicht separat, sondern in zwei Teilen als Beilage B und Beilage C zur Zeitschrift für Vermessungswesen 1872 erschienen ist und mit dieser digitalisiert wurde. Zudem liegt das Mitgliederverzeichnis von 1884 als unmittelbarer Bestandteil der ZfV (S. 341-372) digitalisiert vor.

Neben der Mitgliederentwicklung gewähren die Verzeichnisse einen guten Überblick über die zahlreichen Zweigvereine des Deutschen Geometer-Vereins. Das Mitglieder-Verzeichnis des Deutschen Geometer-Vereins 1911 enthält auf den Seiten 3 und 4 folgende Übersicht mit 27 Einträgen, jeweils mit Mitgliedsnummer im Deutschen Geometer-Verein:

Leihverkehr der ehemaligen DVW-Bibliothek

Die zunehmende digitale Verfügbarkeit neuerer Fachliteratur einerseits und das nachlassende Interesse an älterer bzw. historischer geodätischer Fachliteratur andererseits führten dazu, dass die ehemalige DVW-Bibliothek zuletzt nur noch ein Schattendasein führte. Dies lag nicht zuletzt daran, dass eine zeitgemäße elektronische und im Internet verfügbare Katalogpräsentation fehlte. Ohne Online-Katalog war die Bibliothek zwangsläufig von ihren potentiellen Nutzern abgeschnitten und zum Dornröschenschlaf verdammt.

Das war früher anders. Auf den Katalog und damit die Sichtbarkeit der DVW-Bibliothek wurde größter Wert gelegt. Wie schon berichtet, erschien der erste gedruckte Katalog bereits 1874 als Beilage zur Zeitschrift für Vermessungswesen (s.u. Abb. 1). Darüber hinaus informierte die Zeitschrift für Vermessungswesen regelmäßig über Neuzugänge der Vereinsbibliothek. 1889 folgte dann (laut DVW-Index 1977, S. 60, s.u. Abb. 2) das erste umfassendere Bücherverzeichnis im Druck.

Mit erheblichem Mitteleinsatz aus dem Vereinsvermögen konnte dann 1962 ein Katalog vorgelegt werden, der nach kriegsbedingten Verlusten bereits wieder 4.700 Veröffentlichungen aufwies. Laut der im DVW-Index 1977 (S. 48) dargestellten Entwicklung des Vereinshaushalts wurden insbesondere für Katalog mit Nachträgen von 1953 bis 1961 Ausgaben in Höhe von 10.498,25 D-Mark zugunsten der DVW-Bibliothek getätigt. Nachdem die Bibliothek infolge wachsender Ausgaben im Jahr 1960 schließlich eine eigene Haushaltsposition erhielt, schlug bis zum Jahr 1976 die enorme Summe von 35.603,26 D-Mark für die Bibliothek zu Buche, einschließlich Buchbindekosten für den Zeitschriftenaustausch. Entsprechend wuchs der Bibliothekbestand. Beim ersten Katalognachtrag Ende 1964 umfasste er rund 6100 Veröffentlichungen, beim zweiten Nachtrag im 1967 dann schon 6800. 1971 erschien dann die zweite Ausgabe des Katalogs, der bereits 7878 Veröffentlichungen, darunter allein 715 aus dem Nachlass des DVW-Ehrenvorsitzenden Egbert Habert enthielt. Von diesem Katalog (Ringordner mit XXXI+410 Schreibmaschinenseiten) wurden 180 Stück an alle DVW-Landesvereine und Bezirksgruppen verteilt und auf diese Weise den Mitgliedern zugänglich gemacht.

Dazu traf Abschnitt 4.11 (Bibliothek, Archiv, Iventar) der Geschäftsordnung des DVW (Stand 1. Januar 1976) eingehende Bestimmungen:

  1. Die DVW-Bibliothek kann einem Geodätischen Institut einer deutschen Wissenschaftlichen Hochschule angegliedert werden, bleibt jedoch Eigentum des DVW. Jedem DVW-Mitglied steht die Bibliothek nach der Leihordnung in der Anlage 6.8 zur Verfügung.
  2. Behörden, Institute, Gesellschaften sowie außerhalb des DVW stehende Personen können die DVW-Bibliothek ebenfalls in Anspruch nehmen; DVW-Mitglieder haben jedoch stets den Vorrang.
  3. Der DVW gibt den "Katalog für die DVW-Bibliothek" heraus und veröffentlicht Nachträge für größere Zeiträume. Dieser Katalog ist allen Vorstandsrats- und Beirats-Mitgliedern, der Geschäftsstelle sowie den Landesvereinen zur Verfügung zu stellen. Er kann wissenschaftlichen Forschungs- und Lehrstätten überlassen werden. Die Entscheidung trifft der DVW-Vorsitzende im Benehmen mit dem Sachwalter für die DVW-Bibliothek.

Die der Geschäftsordnung Anlage 6.8 beigefügte Leihordnung hatte folgenden Wortlaut:

  1. Der DVW richtete bereits bei seiner Gründung als Deutscher Geometer-Verein (D.G.V.) e.V. am 16. Dezember 1871 in Coburg eine Vereinsbibliothek ein, die heutige "DVW-Bibliothek". Sie befindet sich z.Z. beim Institut für Geodäsie und Photogrammetrie an der Technischen Universität Berlin.
  2. Anträge auf Ausleihe von Büchern, Fachzeitschriften usw. sind grundsätzlich mit Angabe des Verfassers und Titels des gewünschten Werkes, möglichst mit der DVW-Katalogsbezeichnung an die DVW-Bibliothek der TU, Institut für Geodäsie und Photogrammetrie, Sekr. 12, in 1000 Berlin 12, Straße des 17. Juni 135, zu richten.
  3. In dem Schreiben ist außer dem Vor- und Zunamen sowie der genauen Anschrift des Antragstellers anzugeben, welchem DVW-Landesverein der Entleiher als Mitglied angehört.
  4. Ist das gewünschte Werk, Periodika, Fachzeitschrift usw. vorhanden, so wird es dem Antragsteller unter "Einschreiben" übersandt. Die Portoauslagen sind in Briefmarken zu erstatten; Studenten sind davon befreit. Ebenso ist das ausgeliehene Werk auch wieder unter "Einschreiben" zurückzusenden.
  5. Die allgemeine Leihfrist beträgt einen Monat. Verlängerungen der Leihfrist sind nur möglich, wenn keine weiteren Anträge auf Ausleihe des Werkes vorliegen. Bei nicht rechtzeitiger Rückgabe wird kostenpflichtig gemahnt.
  6. Nicht gebundene Einzelhefte von Zeitschriften werden nicht ausgeliehen. Auf Wunsch werden Photokopien einzelner Aufsätze gegen Erstattung der Unkosten übersandt.
  7. Für Verluste oder Beschädigungen haftet der Entleiher.
  8. An Antragsteller in Berlin werden Bücher nur im Institut für Geodäsie und Photogrammetrie der TU Berlin ausgeliehen. Termine sind vorher fernmündlich zu vereinbaren (Ruf 3 14 22 41 oder 314 3315).

Prof. Otto Hirsch, aus: ZfV 2005, S. 130Das auch in der Satzung (Stand 8. Dezember 1976) als Mitglied des DVW-Beirats verankerte Amt des „Sachwalters der DVW-Bibliothek“ hatte seit den 70-er Jahren bis zur Verlagerung der Bibliothek nach Leipzig im Jahr 1995 Prof. Dr.-Ing. Otto Hirsch (1928-2005) inne. Am 11. Mai 1928 in Hermannsburg (Kreis Celle) geboren, hatte Hirsch von 1938 Oberschulen in Potsdam, Belzig und Jüterbog besucht und nach einer Praktikumszeit in einem Vermessungsbüro in Belzig von 1949 bis 1951 Vermessungswesen an der heutigen Berliner Hochschule für Technik studiert. Es folgte ein Diplomstudium an der TU Berlin, an das sich 1956 eine Assistententätigkeit am Lehrstuhl Geodäsie und Landesvermessung (Prof. Fritz Hunger) anschloss. Ab 1961 war Hirsch dann wissenschaftlicher Leiter bei den Askania-Werken, kehrte aber bereits 1965 an die TU Berlin zurück, wo er als Oberingenieur 1970 mit einer Arbeit über die Temperaturabhängigkeit der Ziellinie von Universalinstrumenten promoviert wurde. Ohne habilitiert zu haben, wurde Otto Hirsch daraufhin 1971 zum Professor für das Fachgebiet Satellitengeodäsie, geodätische Astronomie und Messtechnik ernannt. Neben seiner Professur und über die 1993 erfolgte Pensionierung hinaus übernahm Otto Hirsch die ehrenamtliche Leitung der seinerzeit an der TU Berlin angesiedelten DVW-Bibliothek.